JUSTICE AT WORK

„just us at work“ ist der Name einer Kunstaktion in einem der Öffentlichkeit zugänglichen Raum, die in der Eingangshalle des Kasseler Amtsgerichts vom1. Juni bis zum 10. September 2012 stattfand.

„just us at work“ ist eine ortsspezifische Zusammenarbeit zwischen Deborah Adams Doering, DOE Projekts, Chicago, USA, sowie Veronica Betani und Cebo Mvubu, KAP (Keiskamma Art Project) Artists, Hamburg, Südafrika1. Indem sie ihre gemeinsame Arbeit in den Rahmen einer öffentlichen Kunstaktion stellen, weisen die Künstler darauf hin, dass es sich hierbei nicht um eine konventionelle Ausstellung handelt. „Nur wir bei der Arbeit = Just us at work“ zeigt Künstler bei der Arbeit, beim Erschaffen handgefertigter Kunstwerke vor Ort im Amtsgericht. Dabei werden Möglichkeiten bedeutungsvoller Tätigkeit in einem Raum geschaffen, wo konzeptionelle Kunst und handwerkliche Produktion miteinander in Verbindung treten. Das Ergebnis ist ein Prozess, der die menschliche Existenz in der modernen Gesellschaft hinterfragt und die multikulturelle Wirklichkeit vielschichtiger Bedeutungen aufzeigt.

Sowohl DOE als auch die KAP-Künstler arbeiteten mit einfachen Materialien wie Papier, Bleistift, Holz, Stoff und Stickgarn. Das einzige ständig ausgestellte Kunstwerk ist das „Manifest O“, ein überdimensionaler Wandteppich (2,7 x 6,4 m), von DOE Projekts entworfen und von KAP-Künstlern gestickt. Mit diesem ursprünglichen Manifest verkünden die Künstler, dass wir nun den Bereich des konzeptionellen Kunstschaffens in konkreter handwerklicher Formgebung betreten.

Doering begann ihr konzeptionelles Kunstschaffen vor mehr als zehn Jahren nach ihrem Magisterabschluss in Bildender Kunst. Zur selben Zeit steckte KAP gerade in den Kinderschuhen. Anfangs war es als ein Programm konzipiert, das Armut mildern und ortsansässigen Frauen das Sticken beibringen sollte. Der Beweggrund war die gemeinsame Trauer um die unbarmherzig hohe Zahl der HIV/AIDS-Opfer im Dorf und der daraus resultierende Zerfall sowie die Niedergeschlagenheit der Gemeinde.

KAPs Kunsthandwerk begann also als eine emotionale und finanzielle Überlebensstrategie. Die KAP-Künstler und -Kunsthandwerker konzentrieren sich seitdem auf handgefertigte Gegenstände. Doering lernte die künstlerischen Werke der KAP-Künstler aus erster Hand kennen. Sie kontaktierte die Künstler-Gemeinde per E-Mail und durch soziale Medien ein paar Jahre vor ihrem ersten Besuch in den Hamburger Studios in Südafrika, wo die Zusammenarbeit zwischen DOE und KAP begann.

Im Gegensatz zur Entwicklung der KAP-Künstler-Gemeinde wurde DOE Projekts als ein Weg gegründet, um mit anderen Künstlern und Künstlergruppen zusammenzuarbeiten und dabei Doerings Kode-System als Ausgangspunkt zu nutzen. DOE Projekts konzentriert sich auf gemeinschaftliches Kunstschaffen als einem konzeptionellen und zusammenhängenden System, das mit der „Null“- Form beginnt. Auf Einladung von Doering betrachten Künstler, die mit DOE Projekts arbeiten, die sich im Raum bewegende Null, die auch an bestimmten Punkten in der Bewegung als Eins gesehen werden kann.

Hinzu kommt, dass auch die eigentliche Bewegung als Form – als Welle oder Tilde – gesehen werden kann. Anders gesagt: Was anfänglich ein Gedanke oder Konzept ist, stellt sich als Form, als Objekt dar.

Als Ergebnis dieser Idee hat Doering eine auf Null und Eins (und den Bewegungen zwischen den beiden) basierende Kode-Formsprache geschaffen, die sie auf eine Vielzahl von künstlerischen Kontexten anwendet. Diese Formen sind ein grundlegender Teil des Zusammenwirkens von Betani, Mvubu und anderen sowohl vor als auch im Raum des Amtsgerichts.

In diesem neusten Kontext lädt DOE Projekts, das sich auf Konzepte und Zusammenhänge konzentriert, KAP und andere, die sich mit der Herstellung von Objekten beschäftigen, ein, im Amtsgericht zusammenzuarbeiten. Die dort in der Kunstaktion entstehenden Werke resultieren aus der Fusion von Konzept und Verkörperung. Jedes Objekt ist in Nullen und Einsen kodiert, von Hand, mit bescheidenen Materialien und in Muße geschaffen. Als Ergebnis entstehen Objekte mit vielschichtigen Bedeutungen. Sie enthalten als Ergebnis der DOE/KAP Zusammenarbeit tiefere und komplexere schöpferische Wirklichkeiten als alles, was die Künstlergruppen isoliert erschaffen können.

Metaphorisch nimmt die Eins, das Individuum, an der „Null“, dem Gemeinschaftskreis, teil; das bedeutet nicht die Negation der Individualität, sondern dass Individuen sich die gemeinschaftliche Tätigkeit zu Eigen machen. Hinzu kommt, dass die Aktion und die Künstler selbst die Bewegung zwischen den Nullen und Einsen – den Kode – verkörpern und reflektieren.

Es sei auch angemerkt, dass die KAP-Künstler aus Südafrika stammen, das gemeinhin als Wiege der Menschheit gesehen wird. Die Symbolkraft dieser Aktion ist klar: Wir nähern uns mit unserer Zusammenarbeit den Wurzeln der Menschheit. Südafrika ist die Wiege unseres genetischen Kodes und des menschlichen Befindens. Das wird in Doerings Kode widergespiegelt, in dem wir buchstäblich einen Phallus (I) und eine Scheide (0) erkennen können. Nullen und Einsen können also als der genetische Kode unseres digitalen Zeitalters betrachtet werden, der die Grundlage für alle elektronische Kommunikation bildet. Auf diese Art und Weise ist das Zusammenkommen der DOE- und KAP- Künstler in den Räumen des Kasseler Amtsgerichts eine Manifestation verwandter Ideen: Das Leben, die Suche nach und der Ausdruck von menschlichen Bedingungen in der und durch die zeitgenössische Wirklichkeit von Kunst und Kunstschaffen.

Das Leben, die Suche nach und der Ausdruck von menschlichen Bedingungen schließt die Existenz von Recht und Gerechtigkeit ein. Das Recht beruht auf Billigkeit und gebührender Belohnung. Der Akt des Kunstschaffens kann ein mächtiges Werkzeug sein, um faire Behandlung und gebührenden Lohn unter dem Dach bedeutungsvoller Arbeit für Menschen zu erzeugen. Mit Sicherheit müssen rechtliche Bedingungen als Teil der Entwicklungsarbeit in ländlichen Gegenden wie Hamburg, Südafrika, sichtbar und verfügbar gemacht werden. Das Wortspiel „just us at work – justice at work“ als Name für die Kunstaktion ist also passend und aussagekräftig.

Im Amtsgericht begegnen wir einem Raum und Kunstschaffen, die auf tiefere Bedeutungsschichten hindeuten. Lassen Sie sich nicht von der Alltäglichkeit/Banalität irreführen. Was hier tatsächlich erschaffen wird, sind Objekte mit vielschichtigen Bedeutungen — Super-Objects2. Sie werden von der Hand der Künstler im Moment und im Raum ihrer Begegnung geschaffen, d. h. dass die Objekte selbst zu Kodes werden. Die Kodes, die sie enthalten, werden zu Symbolen einer Wirklichkeit, die tiefer und komplexer ist als das, was man an der Oberfläche sieht. Die Hinterfragung bekannter Konzepte ist ein eindringliches Werkzeug zur Entwicklung des augenblicklichen Standes menschlichen Bewusstseins – und des Darüber-Hinaus-Gehens.

Wenn alte Gedankenwelten hinterfragt werden, können neue entstehen.

Louise Mazanti, PhD
Lektor, Kurator und Schriftsteller, ehemaliger Professor für Design und Kunsthandwerk-Theorie und – Geschichte
Kopenhagen, Dänemark

1Siehe Mitarbeiterliste DOE Projekts und KAP Künstler/innen im Anhang
2Der Begriff „Super-Objekt“ geht über die üblichen Kategorien der Beschreibung künstlerischer Ausdrucksformen hinaus. Er beinhaltet die vielschichtigen Bedeutungen, die in einem Kunstwerk verborgen sein können. (Aus „Super- Objects: Craft as an Aesthetic Position“ by Louise Mazanti (published in Extra/Ordinary: Craft and Contemporary Art, Maria Elena Buszek, Editor, ISBN 978-0-8223-4762-0)

1Andere Künstler und Kunsthandwerker, die für ein paar Wochen mit DOE Projekts im Amtsgericht arbeiten:
Nancy Adams (USA)
Glenn Doering (USA)
Irene Pérez Gil (Spanien)
Shauna Hupe Angel Blue (USA)
Denise Laurin Donatelle (USA)
Magdalena Linden (Schweden)
Kathryn Trumbull Fimreite (USA)
Kathryn Maple Whitten (USA)

1KAP „Manifest O“ Künstler und Kunsthandwerker, Südafrika (unter Anleitung von Veronica Betani, Cebo Mvubu)
Thembisa Gusha (Hamburg, Südafrika )
Nolunthu Mavela (Hamburg, Südafrika)
Nozibele Nxadi (Hamburg, Südafrika)
Bandlakazi Nyongo (Hamburg, Südafrika)
Zukiswa Zita (Hamburg, Südafrika)

Richter am Amtsgericht:
Erich Fischer, Präsident
Reinhold Kilbinger, Vizepräsident, im Ruhestand

Keiskamma Trust (www.keiskamma.org)
Ms. Carol Baker Hofmeyr (Gründerin/Südafrika)
Ms. Florence Danais (Frankreich/Südafrika)
Ms. Annette Woudstra (Kanada/Südafrika)

Schreinermeister
Karl Schöberl (Deutschland)
Joel Fromer (USA)

Übersetzung
Christine Summers

Werbung, Koordinierung, Unterstützung
Ms. Tanja Munser, Ms. Lisa Hoffman, Ms. Sandra Dernbach
Ms. Barbara Decker, Dr. Albrecht Letz, Ms. Annegret Letz
Mr. Richard Laurent, Ms. Cheryl Jefferson, Mr. Philip Hartigan
USA Projects (www.usaprojects.org)
Foundation for Contemporary Art (www.foundationforcontemporaryarts.org)
Wir danken allen, die uns unterstützt haben, insbesondere den Mitarbeitern/innen des Amtsgerichts Kassel.

Weitere Informationen finden Sie in unserem Blog: www.DOEprojekts.com

Adresse bei Interesse am Kunsterwerb oder einer Ausstellung oder bei weiteren Fragen:
dadamsdoering@yahoo.com
DOEprojekts@yahoo.com