Indem Ich Eine Tasse Espresso Zubereite, Beende Ich Den Krieg

Erzählung einer Künstlerin

Meine Mutter, meine zwei Tanten und ich wurden von der Klangkünstlerin Catherine Forester für ihre bevorstehende Installation über Frauen und den Generationsfortbestand befragt. Ich stellte fest, dass wir viel über das Essen sprachen.

Selbst Catherinas Fragen zu unserem politischen Engagement veranlasste uns, über unsere Bemühungen in Bezug auf Hungerstreiks, Crop Walks und Heifer International, eine Organisation mit dem Ziel, den Hunger in der Welt zu bekämpfen, zu sprechen. Am Ende des Gespräches saßen wir gemeinsam an einem schön gedeckten Tisch und aßen schwedischen Kuchen (kaffe brod) und tranken Kaffee.

Als ich mir später die Unterhaltung in Erinnerung rief, dachte ich über die Tatsache nach, dass meine Familie statt politischen Diskussionen lieber Gespräche über Essen führt.

Ich weiß immer noch nicht, ob meine Eltern einer Partei angehören. Wir haben weder Politiker oder politische Aktivsten in unserer Familie, noch kennen wir welche. Einmal schüttelte ich die Hand von Bürgermeister Richard M. Daley, als er mir den Preis für das Design des Logos zum fünften Jahrestag einer Chicagoer AIDS-Organisation überreichte.

In der Tat, diese Überreichung war ein aufschlussreiches Ereignis; meine politische Tatkraft, mein sozialer Aktivismus, nahm sichtbar Gestalt an.

Letzten Endes empfinde ich die Arbeit als bildender Künstler als einen politischen Akt; denn sichtbare Bilder beeinflussen die Öffentlichkeit, wenn auch in kleinen Schritten. In letzter Zeit, nachdem ich einige Erfolge durch die Verwendung vom Homöopathie gegen chronische Erkrankungen erzielt habe, begann ich über meine sichtbare Arbeit als homöopathisches Heilmittel zur Revitalisierung des Gemeinwesens nachzudenken.

Ich sehe meine Rolle in politischen und sozialen Fragen gleich meinem künstlerischen Schaffen und Leben. Ich bin zugleich Beobachter und Schriftführer der Zweiheiten, der Unklarheit und der langsamen Umgestaltungen, die entstehen durch die Neins und Jas welche nebeneinander in einer Welt entgegengesetzter Energien existieren müssen. Rache, Mitgefühl/Kernwaffen, keine Kernwaffen/offene Einwanderung, Grenzstreifen/Frieden, Krieg.

Ich beobachte, und während ich beobachte, mische ich mich auf komplizierte Weise ein. Wie der Maler Georges Seurat sagte: „Beobachtung ist Einmischung“

Darüber hinaus sehe ich, dass Kunst als gesellschaftspolitischer Akt, der als politisches Futter dient. Meine Beschäftigung schließt ein, das Lesen der Etiketten und das Einkaufen von nah erzeugten Bio­Lebensmitteln, welche unserem Budget entsprechen. Bevor wir in eine Wohnung umgezogen waren, kompostierten wir die Speisereste. Ich unterstütze den Zugang und die Verteilung von gesunden und nachhaltigen Lebensmitteln für alle. Mein Verständnis ist, dass niemand in der Welt hungern sollte, dass unser Planet imstande ist, genug Essen für alle bereitzustellen, wenn wir nur die gerechte Verteilung der Ressourcen in den Griff bekommen.

Essen, um auf ein anderes Tema zu kommen, hat eine wichtige Bedeutung in der italienisch-deutschen Familie meines Mannes. Zu jedem Treffen der Familie Panarese/Döring gehört eine Anzahl von Speisen welche hergestellt und verspeist werden muss; das ist Gesetz. Ohne Glenns Mutters italienische Wurst und Rigatoni zu Weihnachten, würde die Welt zusammenbrechen. Als Gegengewicht allzu dominanter italienischer Speisen steuert Tante Pauline pflichtbewusst ihre deutsche Version von Rice­Krispies­Küchlein bei. Pauline bereitet himmlische Rice Krispies. Wir denken, ihr Geheimnis war, die großen Marshmallows zu kaufen und sie mit einer chirurgischen Schere in schmale Stücke zu schneiden, anstatt die kleinen Marschmallows, welche eine schal­dröge Oberfläche haben, zu verwenden.

Tante Pauline nahm ihr Rice-Krispies-Rezept 2006 mit ins Grab. Sie wurde zwischen rosa Rosen und Edelweiß im Arlington Heights Lutheran Home aufgebahrt. Der Sarg stand an einem farbenfrohen Fenster mit dem Bildnis des auferstandenen Christus. Das Fenster ließ lavendelfarbenes, dann blaues, dann rosa Winterlicht mal heller, dann dunkeler während der Totenwache auf den Sarg scheinen. Ich machte ein letztes Foto von ihr in ihrem Sarg umhüllt von dem rosa Licht, kurz bevor sie in die Bestattungshalle gebracht wurde. Ein Leichenschmaus folgte unmittelbar nach der Beerdigung auf dem Friedhof. Ironischerweise feierten wir Paulines Eintritt in die Ewigkeit bei einem italienischen Essen.

Tante Paulines beste Freundin, Jane May Comiskey, erfuhr von Paulines Tod und schrieb an meinen Ehemann, ob wir mit ihr bei einem Essen im Kunstinstitut von Chicago Pauline gedenken könnten. Wir trafen uns zum Mittagessen in dem Museumshofrestaurant an dem Tag, der der 91. Geburtstag meiner Tante gewesen wäre. Nachdem wir auf das Leben von Tante Pauline angestoßen hatten, bestellten Jane und ich den Barramundi mit schwarzem Olivenöl. Glenn bestellte den Bio­Risotto. Der Tag war warm und hell, und ich machte Fotos von Jane als sie Creme Brulee aß und ihren Espresso trank. Glenn und ich teilten uns eine Erdbeer­Rhabarber­Hafertorte mit Vanilleeis. Ich trank Pfefferminztee. Espresso verursacht Chaos mit meinen Hormonen, und so suchte ich neue Energie auf anderem Wege, als über das durch Druck erzeugte Getränk, das heute so populär ist.

Voll gesättigt von unserem Mittagessen kam ich nach Hause und druckte meine digitalen Fotos von Jane, ihr Dessert essend und ihren Espresso mit der rechten Hand trinkend. Das ist ein Beispiel von einem farbenfrohen und ästhetisch komponierten Bildnis, wie ich es gerne male: gitterförmig, vertikal und horizontal, gestreifte Flecken, die meine Weltansicht ausdrücken. Mein Leben, das Leben des Menschen bekommt Form durch gegensätzliche Energien, durch Helligkeit und Dunkelheit, durch Kommen und Gehen, bei freudigen und unheilvollen Ereignissen, durch Leben und Sterben. Durch diese Zweiheiten der Existenz, haben wir die Gelegenheit zu wachsen, uns weiterzuentwickeln und zu wandeln.

Ob wir uns zum Nutzen des Gemeinwesens verändern entscheidet sich durch komplizierte Entscheidungen, die so facettenreich und nuanciert sind, wie ein Bild das aus Tröpfchen von Tintenpartikeln oder in einzelnen, kleinen Quadraten gemalt worden ist.

Ein paar Tage nach dem Mittagessen mit Jane las ich durch Zufall Stephen Levines; „Sein lassen. Heilung im Leben und im Sterben“, noch einmal. Levine erzählt die Geschichte eines Schriftstellers, Paul Reps, der nach dem Koreanischen Krieg in Japan meditieren wollte. Ihm wurde von einem Beamten der Einwanderungsbehörde gesagt, dass es nicht möglich sein würde, da er nicht zum militärischen Personal gehöre. Reps hat ruhig vor dem Beamten gesessen. Er hat dann ein Gedicht auf die Rückseite seines Antrags geschrieben: „Indem ich eine Tasse grünen Tee zubereite, beende ich den Krieg“. Er hat den Antrag dem Beamten gereicht, der das Gedicht in Ruhe las. Nach einer langen Pause hat er Reps angeschaut und gesagt: „Wir brauchen im Augenblick in unserem Land mehr Menschen wie Sie“ und hat das Visum genehmigt.

Reps hat politisch als Künstler, als Vermittler und als Dichter gehandelt. Als er auf Widerstand – den Beamten der Einwanderungsbehörde – traf, schrieb er ein Gedicht: „Indem ich eine Tasse grünen Tee zubereite, beende ich den Krieg“. Das Gedicht schafft eine Brücke, eine Beziehung zwischen zwei Männern. Entscheidungen werden getroffen und Zugang wird gewährt anstatt abgelehnt. Verständnis beginnt mit einem künstlerischen Akt.

Wie kannst du, wie können wir, durch das Zubereiten einer Tasse grünen Tees den Krieg beenden? Die Möglichkeiten sind so vielschichtig und unterschiedlich wie die Rezepte für Kaffe brod, Rice­Krispies­Küchlein, Rigatoni oder Espresso.

Wann immer ich Zweiheiten und gegensätzliche Energien des Lebens beobachte, male ich ein Bild, schaffe ich eine Installation. Ich betätige mich politisch durch meine künstlerische Schaffenskraft. Eine Brücke wird angeboten, eine Einladung zur Beziehung wird ausgesprochen.

Ich verändere mich, während ich die dualistischen Gedanken in Verhältnis zueinander bringe; mein Geist, meine Augen und Hände müssen zusammenarbeiten. Ein innerer Friede stellt sich ein. Ich vertraue darauf, dass die Veränderung sich in homöopathischer Art auf das Gemeinwesen überträgt und der Energiefluss sich zu verändern beginnt.

Indem ich eine Tasse Espresso zubereite, beende ich den Krieg.

—Deborah Adams Doering

Übersetzt ins Deutsche von Manfred Grebe und Betty Bushey. (Kassel documenta Stadt, Januar 2013)